Die Volksgruppe der Pomaken
Die Bergmuslime – eine Minderheit, die keine sein will
In den Rhodopen, einem Bergzug zwischen Bulgarien und
Griechenland, lebt die Volksgruppe der Pomaken. Sie unterscheiden sich von der
Bevölkerungsmehrheit durch den islamischen Glauben. In Bulgarien suchen sie vor
allem die Integration.
Es ist nicht das Gebirge von Kuppeln und Zwiebeltürmen einer
orthodoxen Kirche, das sich in diesem bulgarischen Dorf in den Himmel reckt –
wie man es allgemein erwarten würde –, sondern ein spitzes Minarett. Die
Moschee, zu der der schlanke Turm gehört, befindet sich gerade im Umbau. Sie
sei zu klein, um bei Festen alle Dorfbewohner aufnehmen zu können, und müsse
deshalb erweitert werden, sagt der hünenhafte Mann von vielleicht 35 Jahren,
der im bröckelnden Betonkomplex des dörflichen Gemeinschaftszentrums eine
verrauchte Kneipe führt.
Individualität und Integration
Das Dorf heisst Paschowi und befindet sich in ausnehmend
romantischer Lage etwa 1300
Meter über Meereshöhe auf einer Hügelkuppe im
Rhodopen-Gebirge, das den Süden Bulgariens mit dem Norden Griechenlands
verbindet. Wie Adlerhorste sitzen in zwei, drei Kilometern Entfernung auf
Hügeln weitere Dörfer, auch sie mit Moscheen statt Kirchen. Hier ist das
Stammland der sogenannten Pomaken, einer in Bulgarien und Griechenland
angesiedelten muslimischen Minderheit, deren Angehörige ethnische Bulgaren sind
und die in Bulgarien auch Bergmuslime genannt werden.
Stolz trägt der Kneipenwirt einen grün-roten Trainingsanzug
mit der Aufschrift «Bulgaria». In jüngeren Jahren war er Mitglied des
nationalen Skilanglauf-Kaders gewesen, und noch heute sieht man ihm den
Sportler an. «Wir sind Bulgaren», sagt er dezidiert, und die paar Männer, die
in der Kneipe sitzen, nicken beipflichtend. Man unterscheidet sich zwar in der
Religionszugehörigkeit von der Mehrheitsgesellschaft, doch niemand scheint das
Bedürfnis zu haben, sich explizit als Minderheit darzustellen, im Gegenteil.
Dennoch dringt Stolz durch über ein gewisses Anderssein. Bei den Namen zum
Beispiel macht man keine Kompromisse. «Bei uns ist es üblich, dass ein Kind den
Vornamen eines Vorfahren erhält, und davon lassen wir nicht», sagt einer aus
der Runde.
Die ethnische Herkunft der bulgarischen Bergmuslime ist
nicht endgültig geklärt. Eine Theorie sagt, es handle sich um islamisierte
Bulgaren, eine andere, sie seien ein slawisiertes turkstämmiges Volk. Unklar
ist auch der Ursprung der Bezeichnung «Pomaken», die bei einigen Bergmuslimen
zudem verpönt ist. Auch die zahlenmässige Stärke der Minderheit ist schwer
festzustellen. Denn wie andernorts in Ostmitteleuropa haben Angehörige von
Minderheiten bei Volkszählungen jeweils verschiedenste Gründe, sich nicht
unbedingt zu der Ethnie zu bekennen, der sie sich eigentlich verbunden fühlen.
Sicher ist jedoch, dass es für eine kurze Zeit sogar einen
selbständigen pomakischen Miniaturstaat gab. Dieser bildete sich Ende des 19.
Jahrhunderts im Kontext der bulgarischen Auflehnung gegen das Osmanische Reich.
Der bulgarische Nationalaufstand wurde zwar von den Türken zunächst äusserst
blutig niedergeschlagen, führte aber zum russisch-osmanischen Krieg, aus dem
1878 der bulgarische Nationalstaat hervorging. Dies wiederum gefiel einem
lokalen Rhodopen-Potentaten nicht, der auf osmanischer Seite gestanden hatte
und nun grösseren bulgarischen und russischen Einfluss fürchtete. Er lockte mit
niedrigen Steuern einige Dörfer im Tal des Flusses Watscha in seine «Republik
Tamrasch» und postierte sogar einen Gesandten in der bulgarischen Stadt
Plowdiw. Sein Reich hatte aber nur acht Jahre Bestand.
Diese Geschichte ist heute weit weg. In Paschowi hat man
ganz andere Sorgen. Die Männer in der Kneipe sind darauf bedacht, nur
vorsichtig an ihrem Bier oder ihrer Limonade zu nippen. Denn Konsumationen
kosten Geld, und Geld ist rar in einem Dorf, in dem eine Arbeitslosigkeit von
70 bis 80 Prozent herrscht. «Wir haben zwei Schneidereien im Dorf; dort
arbeiten je etwa 20 Frauen», sagt Mustafa Mehmet Bandjo, der Bürgermeister.
«Ferner arbeiten einige Frauen in einer Textilfabrik in Raslog, etwa eine
Autostunde entfernt. Es gibt einige Lehrer, einige Bürostellen in der
Verwaltung. Ein paar Männer arbeiten im Forstamt. Sonst leben wir hier vor
allem vom Kartoffelanbau.»
Naturnahe Methoden
In der Tat sind die Äckerchen nicht nur in Paschowi, sondern
überall im Bergtal fein säuberlich bestellt, und an der Strasse werden alle
paar Kilometer an improvisierten Ständen die Produkte der Region – Kartoffeln,
Honig, allenfalls Waldbeeren – angeboten. Der Strassenverkauf bringe aber
höchstens ein Zubrot ein, sagt der Bürgermeister. Und die Grossabnehmer
drückten auf den Preis, seit viele billige Kartoffeln etwa aus Polen den
bulgarischen Markt überschwemmten. Dass hier in den Rhodopen mit naturnahen
Methoden gearbeitet wird, weil es keine Alternative dazu gibt, nützt der
Bevölkerung wenig. Ihre Kartoffeln sind zwar top bio, können mangels
Zertifizierung und Vertriebskanälen aber nicht den Mehrwert für solche
erzielen.
Das Arbeitsangebot ist damit dünn für ein Dorf von immerhin
etwa 1200 Einwohnern. Die Bauarbeiten an der Moschee werden von Freiwilligen
ausgeführt und über Spenden bezahlt. Dennoch ist etwas Geld vorhanden. Zwar ist
keine einzige Strasse in Paschowi geteert ausser dem Zubringer zur
Hauptstrasse. Aber viele Leute haben neue Fenster in ihren Häusern. Vielleicht
ist ein Familienmitglied als Wanderarbeiter im Ausland oder fand ein Auskommen,
als in Bansko, dem ganz in der Nähe gelegenen Skigebiet mit internationaler
Ausstrahlung, der Bauboom herrschte.
Missachtetes Juwel
Der Bürgermeister selbst betreibt an der Hauptstrasse das
Restaurant «Schtschastliwza» («das Glückliche»), das er nach der Wende selber
gebaut hatte. Er sähe – für sich, das Dorf und die Region – im Tourismus ein
gewisses wirtschaftliches Potenzial. In der Tat: Zwischen Paschowi und
Awramowo, dem Dorf auf dem nächsten Hügel, liegt die höchstgelegene
Eisenbahnstation des Balkans.
Die Schmalspurbahn-Strecke von Septemwri in der thrakischen
Tiefebene nach Bansko im Pirin-Gebirge, die im Gebiet der Bergzüge Rhodopen,
Pirin und Rila verläuft und auf deren Scheitelpunkt man sich hier befindet,
könnte mit ihrer landschaftlich überaus reizvollen Szenerie und dem kulturellen
Reichtum der Region eine Touristenattraktion ersten Ranges sein.
Dazu werden die Entscheidungen jedoch an allen möglichen
Orten gefällt, nur nicht in Paschowi. Der 27-jährige Angel Guschkow, ein
Naturfreund, der aus Enthusiasmus als Kondukteur bei der Schmalspurbahn
arbeitet, sagt, die Strecke sei schon mehrmals von der Schliessung bedroht
gewesen und habe bisher nur überlebt, weil sie für die lokale Bevölkerung ein
unentbehrliches Verkehrsmittel sei.
Hallo, ich hätte gern gewusst wie die Öffnungszeiten sind. Ob man auch telefonisch oder Mail erreichbar ist. Und wie oft oder wann es treffen gibt. Danke im voraus
YanıtlaSil