Sie fahren ins Ausland, um dort ihre Arbeitskraft billig anzubieten, und sie hoffen, dass die Ausländer in ihre Heimat kommen, um ihnen ihre Häuser abzukaufen. Die Pomaken: Bulgariens verfemte moslemische Minderheit.
Das Gesicht des Mannes neben mir im Bus ist regelrecht verbrannt von der
Sonne. In kommunistischen Zeiten nannte man das in Bulgarien einen
Arbeiter-und-Bauern-Sonnenbrand, wie man das jetzt nennt, weiß ich nicht.
Vielleicht einen europäischen Teint? Der Mann hat ihn sich auf europäischen
Feldern geholt. Er kehrt aus Großbritannien zurück. Vier Monate war er weg von
zu Hause. Auf Saisonarbeit. Er ist nicht allein, mit ihm reisen noch vier
Männer, sie waren gemeinsam in England. „Erdbeeren, du hast sicher davon
gehört? Das machen jetzt viele Bulgaren, sie pflücken Erdbeeren in England,“
erzählt mir mein Busnachbar. „Eine anstrengende Arbeit, man muss dabei ständig
knien. England ist ein schönes Land, aber nur für Engländer. Ich würde gern zu
Hause bleiben, aber was soll ich machen, dort gibt es für mich keine Arbeit!“
Er hat früher im Bergbau in den Ostrhodopen,
im Süden Bulgariens, gearbeitet. Doch nach der „Revolution“, wie er die
politischen Veränderungen nach 1989 bezeichnet, sperrten die meisten Bergwerke
zu, die Arbeiter wurden entlassen und fanden keine neue Beschäftigung. Auch
sein Freund ist seit längerer Zeit arbeitslos, er ist Techniker und hat bei der
bulgarischen Telekom gearbeitet. Dann wurde eine neue Technologie eingeführt,
und er wurde abgebaut. Keine Fortbildung, von einer Abfertigung nicht zu reden.
Der Techniker hat zwei Kinder, die beide studieren, er weiß nicht, wo er das
nötige Geld hernehmen soll.
Ich frage die Männer, wohin sie fahren. Nach
Zlatograd. Ob sie Pomaken seien? „Es gibt im staatlichen Register keine Rubrik
für Pomaken“, sagt mein Mitreisender. „Aber ja, wir gehören in diese fehlende
Rubrik.“ Ich frage ihn, wie er heißt. „Im Personalausweis steht Methodi, zu
Hause nennt man mich Mechmed, die Freunde rufen mich Metho, du kannst also
wählen.“
Die Pomaken führen ein gespaltenes Leben,
das drückt sich schon in den Namen aus, einem arabischen und
einem
bulgarischen. Die ersten Versuche, die Pomaken dazu zu bringen, ihre arabischen
gegen gute bulgarische Namen zu tauschen, reicht in die Jahre 1912/1913 zurück,
gleich nach dem Balkankrieg, als der junge bulgarische Staat ehemals türkische
Gebiete vereinnahmte. Die Pomaken sind eine Volksgruppe in den Rhodopen, sie
sprechen bulgarisch, sind jedoch nicht christlich-orthodox wie die meisten
Bulgaren, sondern Moslems wie die bulgarischen Türken. Es gibt zahlreiche
Theorien über ihre Herkunft. Fest steht, dass sie von den Bulgaren wie von den
bulgarischen Türken stets als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden.
In den Jahren 1937 bis 1944 gab es einen
zweiten Versuch, den Pomaken bulgarische Namen aufzuzwingen, eine wichtige
Rolle spielte dabei die nationalistische Organisation „Rodina“ (Heimat). Aber
auch den Kommunisten waren die Pomaken mit ihren fremd klingenden Namen
suspekt, 1971 begannen sie eine Kampagne zur Assimilierung der Pomaken, wieder
ging es vor allem darum, die arabischen gegen bulgarische Namen einzutauschen.
In den 1980er-Jahren wurde diese Kampagne auf die bulgarischen Türken
ausgeweitet, die sich jedoch zur Wehr setzten. In den Westrhodopen kam es zu
blutigen Zusammenstößen. In den Ostrhodopen aber gab es kaum nennenswerten
Widerstand. Auch nicht in Zlatograd, das nur 20 Kilometer von der
griechischen Grenze entfernt liegt. Die Stadt zählt rund 8000 Einwohner. „Vor
1944, als der Zar noch ein richtiger Zar war, durften wir Pomaken nicht einmal
als Feldhüter arbeiten“, erzählt mir der 1919 geborene Issein Hasanov aus
Zlatograd. „Die Kommunisten waren schlauer. Die Pomaken bekamen sogar
staatliche Posten, aber nur, wenn sie sich von ihrer Religion und ihren Namen
lossagten. Viele arme Leute haben das getan. In der Miliz gab es viele
Pomaken.“
Der ständige Druck von außen, die Repressionen
von Seiten des Staates und der Mehrheitsbevölkerung haben die Rhodopen-Pomaken
gelehrt, dass es ratsam ist, keinen großen Widerstand zu leisten und sich auf
die Seite der Stärkeren zu schlagen. Mit dieser Strategie haben sie seit
Jahrhunderten in einer feindlichen Umgebung überlebt. „Es war 1972“, erzählt
Issein weiter. „Ich ging zur Kassa, um mein Gehalt abzuholen. Die Frau an der
Kassa sagte, ich solle ihr den Ausweis geben, sie wolle meinen Namen in einen
bulgarischen ändern, erst dann würde ich mein Geld bekommen. Was sollte ich
tun? So wurde ich Assen. Da war noch ein Junge, der weigerte sich. Doch nach
fünf Tagen gab er klein bei, schließlich wollte er nicht verhungern. Ich war
älter und wusste bereits: Gegen die Macht kann man nicht mit dem Fuß treten,
sonst tritt sie zurück, und man bekommt eine ins Maul und verliert die Zähne.“
„Ich war in der siebten Klasse“, berichtet
Ramadan Kehayov. „Von der Schule wurden wir ins Kino geführt. In einen
Partisanenfilm. Am nächsten Tag kamen ein paar Milizionäre zu uns in die Klasse
und fragten, welche bulgarische Namen wir wollten. Wladimir, sagte ich, ohne zu
überlegen. So hieß der Partisanenkommandant im Film. Als ich das zu Hause
erzählte, erhielt ich vom Vater eine ordentliche Tracht Prügel. Mit dem Gürtel.
Zwei Tage später wurde auch sein Name geändert.“
Anfang der 1990er-Jahre erlaubte man den
bulgarischen Türken und den Pomaken, wieder ihre türkischen und arabischen
Namen anzunehmen. Die Türken nützten das sofort, bei den Pomaken machten meist
nur Ältere davon Gebrauch. In Zlatograd nahmen nur 10 Prozent der Pomaken ihre
alten Namen an. Bei der jüngsten Volkszählung, 2001, bezeichneten sich
insgesamt 131.000 Menschen als „Bulgaren islamischen Glaubens“. In den
offiziellen Formularen gibt es keine Rubrik „Pomaken“. Aus Protest bezeichneten
sich in den Westrhodopen ganze Dörfer als Türken, in einigen Orten schrieben
die Menschen in die Rubrik der ethnischen Zugehörigkeit: „Chinesen“.
„Das Mohammedanische ist für uns keine
ethnische Zugehörigkeit wie bei den Türken, sondern nur eine religiöse“,
erklärt Ramadan Kechayov. „Das will keiner zugeben. Wenn du Moslem bist und
türkisch sprichst, hast du kein Problem. Aber wenn du bulgarisch sprichst und
dich zum Islam bekennst, hast du keine Chance. Deshalb nennen die Menschen hier
in der Öffentlichkeit lieber ihren bulgarischen Namen, sonst bekommen sie keine
Arbeit.“
So leben die Pomaken in Zlatograd immer noch
in dieser zwiespältigen Situation. Ein mohammedanischer Name zu Hause, ein
bulgarischer in der Öffentlichkeit. Die jüngeren Eltern haben einen billigen
Ausweg gefunden, sie geben ihren Kindern englische Namen, wie sie sie vom
Fernsehen kennen. Michael, George, Kevin, Britney oder auch Paloma, und zu
Hause werden die Kleinen Hassan, Hatidje oder Hayridin genannt.
„Die Firmen, die Leute zur Erdbeerarbeit in
England rekrutieren, interessieren sich nicht, wie du heißt,“ sagt
mein Nachbar
im Bus. „Auch auf dem Feld in England hat mich keiner danach gefragt. Wichtig
war nur, wie schnell ich die Arbeit erledige und ob ich das Geld bringe – für
den Vermittler und auch für mich.“ Die meisten Familien in Zlatograd haben
mindestens einen Mann nach Griechenland, Deutschland, Österreich, Spanien,
England oder in andere europäische Länder geschickt. Sie arbeiten dort als
Hilfsarbeiter am Bau oder als Feldarbeiter. Sie verdienen zwischen 38 und 40
Euro am Tag, das ist nicht viel, aber besser als nichts. Zu Hause hat man nur
das, was man selber im Garten anbaut. Unter Garten versteht man eine einfache
Hütte und etwas Land in den Hügeln um die Stadt. Die Hänge sind sehr steil,
schwer zu bearbeiten, dort wachsen vor allem Kartoffeln.
Nur wenige Familien leben ständig in den
Hügeln. Kadrie und Ramadan haben sich trotz aller Härten dazu entschlossen, sie
wollen nicht in die Stadt ziehen. Ramadan meint, er sei ein Glückskind, von
Allah gesegnet. Er ist der einzige von insgesamt zwölf Geschwistern, der am
Leben blieb, alle anderen starben im Kindesalter. Seine Frau, Kadrie, war 16,
als sie zu seiner Familie zog. Mit 20 hatte sie bereits zwei Kinder. Sie ist
49, ihr Mann 50, beide sehen viel älter aus. Die Tochter, 31, und der Sohn, 29,
sind längst weggezogen, sie sehen hier keine Chancen für sich.
Ramadan war früher Bergarbeiter, Kadrie
arbeitete in einer Textilfabrik. Anfang der 1990er verloren beide die Arbeit.
Seit 17 Jahren sind sie auf eine reine Naturalwirtschaft angewiesen, sie leben
von dem, was das Land ihnen gibt, Kartoffeln, Zwiebel, Tomaten, Paprika. „Wir
haben genug zu essen, nur kein Bargeld.“ Voriges Jahr verkauften sie ein Kalb,
mit dem Erlös kauften sie Öl, Zucker, Salz, Mehl. Es reichte fast ein Jahr.
Jetzt wollen sie wieder ein Kalb verkaufen, wenn Allah helfen will . . .
Die beiden haben keine Beziehung zum Staat.
Sie wollen auch keine haben, den Staat repräsentiert bei ihnen nur das
Fernsehen. Sie haben keine Kranken- oder Sozialversicherung. Im Unterschied zu
den Menschen in der Stadt haben sie jedoch keine Angst von der Zukunft.
„Uns wird das geschehen, was Allah für uns
entschieden ist“, sagen sie, der Glaube hat sie ruhig und demütig gemacht. Und
passiv.
Kadrie stört nur, dass die Menschen um sie
herum immer weniger werden. 130 Häuser gibt es in der Nähe, nur 40 sind
bewohnt. „Die Leute laufen weg,“ sagt sie. Zuerst liefen sie in die Dörfer,
dann in die Stadt, und jetzt laufen sie ins Ausland.
Mein Busnachbar zeigt mir sein
Handy. Auf dem Bildschirm kann man ein zweistöckiges Haus sehen. Sein Haus,
erklärte er. Keine Sentimentalität, nein, reines Geschäft. Die meisten
Saisonarbeiter haben in ihren Handys Bilder ihrer Häuser in Zlatograd
gespeichert. Sie zeigen die Fotos ihren ausländischen Arbeitgebern in der
Hoffnung, diese würden die Häuser in den Rhodopen kaufen. „Einer der Aufseher
bei der Erdbeer-Arbeit hat schon ein Haus hier im Gebirge gekauft“, erzählt
mein Nachbar im Bus. „Warum sollen nicht noch andere kommen?“
In den bulgarischen Zeitungen finden sich
immer wieder Berichte von Ausländern, die in Bulgarien Bauernhäuser und
Grundstücke erwerben. 40.000 Engländer haben schon ein Dorfhaus im Lande
erworben. Ja, warum eigentlich soll das nicht auch hier sein?
In der Stadt wird ein Haus renoviert. Es wurde
von einer französisch-bulgarischen Kunststiftung erworben. Man hört auch von
einem Belgier, der ein altes Haus suche, und von einer holländischen Siedlung,
die hier entstehen soll. Keiner weiß, ob das nur Gerüchte sind, genährt von der
Hoffnung der Pomaken, Bargeld zu bekommen, oder ob da wirklich etwas dran ist.
Jedenfalls wissen die Pomaken, dass die Stärkeren heute aus dem Ausland kommen.
Und sie orientieren sich danach, wie sie es seit Jahrhunderten gelernt haben.
Sie fahren ins Ausland, um dort ihre
Arbeitskraft billig anzubieten, und sie hoffen, dass die Ausländer in ihre
Heimat kommen, um ihnen ihre Häuser abzukaufen, weil Bargeld rar bei den
Pomaken ist. Was die Dreckarbeit angeht, die sie in England und anderswo
machen, beklagen sie sich nicht. Ein pomakisches Sprichwort lautet: „Wir fühlen
uns am besten, wenn es uns am schlechtestens geht.“ So ist es bei den Menschen
aus der fehlenden Rubrik
In den bulgarischen Zeitungen finden sich
immer wieder Berichte von Ausländern, die in Bulgarien Bauernhäuser und
Grundstücke erwerben. 40.000 Engländer haben schon ein Dorfhaus im Lande
erworben. Ja, warum eigentlich soll das nicht auch hier sein?
In der Stadt wird ein Haus renoviert. Es wurde
von einer französisch-bulgarischen Kunststiftung erworben. Man hört auch von
einem Belgier, der ein altes Haus suche, und von einer holländischen Siedlung,
die hier entstehen soll. Keiner weiß, ob das nur Gerüchte sind, genährt von der
Hoffnung der Pomaken, Bargeld zu bekommen, oder ob da wirklich etwas dran ist.
Jedenfalls wissen die Pomaken, dass die Stärkeren heute aus dem Ausland kommen.
Und sie orientieren sich danach, wie sie es seit Jahrhunderten gelernt haben.
Sie fahren ins Ausland, um dort ihre
Arbeitskraft billig anzubieten, und sie hoffen, dass die Ausländer in ihre
Heimat kommen, um ihnen ihre Häuser abzukaufen, weil Bargeld rar bei den
Pomaken ist. Was die Dreckarbeit angeht, die sie in England und anderswo
machen, beklagen sie sich nicht. Ein pomakisches Sprichwort lautet: „Wir fühlen
uns am besten, wenn es uns am schlechtestens geht.“ So ist es bei den Menschen
aus der fehlenden Rubrik
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